künstliche intelligenz in der medizin
Lucas M. Bachmann
Gründer / CEO
medignition AG
19.04.2022
Die künstliche Intelligenz (KI) ist aktuell in aller Munde. Wirklich praxistauglich scheint sie in der Medizin allerdings selten. Unser CEO Lucas M. Bachmann hat zusammen mit seinen Co-Autoren zu diesem Thema kürzlich ein Positionspapier im angesehenen «Frontiers in Digital Health» veröffentlicht: «Künstliche Intelligenz: alter Wein in neuen Schläuchen?». Im Kurzinterview schildert er uns seine Sicht der Dinge.
Lucas, zahlreiche Innovationen setzen heute auf künstliche Intelligenz. Sie scheint in allen Branchen inzwischen eine feste Grösse zu sein. Du stehst dem Einsatz der künstlichen Intelligenz in der Medizin etwas skeptischer gegenüber. Woran liegt das?
Die künstliche Intelligenz und der damit verbundene Teilbereich Machine Learning verfügen durchaus über ein grosses Potenzial – das zeigt sowohl das Interesse der breiten Öffentlichkeit wie auch die Zahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema. In der klinischen Forschung führen die Begriffe künstliche Intelligenz und Machine Learning allerdings oft zu Verwirrung. Es fehlt sowohl an einem Konsensus bezüglich deren Verwendung als auch an einem Standard, wie die Ergebnisse klinischer Studien präsentiert werden. Studien können deshalb, wenn überhaupt, oft nur schwer verglichen werden.
Wo siehst du Einschränkungen beim praktischen Einsatz der künstlichen Intelligenz in der Medizin?
Maschinen brauchen im Allgemeinen riesige Datenmengen, um Aufgaben selbständig bewältigen und Vorhersagen treffen zu können. Die zur Verfügung gestellten Daten müssen wiederum von hoher Qualität sein, um falsche Aussagen zu vermeiden. Diese Voraussetzungen sind in vielen Bereichen der Medizin nicht gegeben. Elektronische Krankenakten beispielsweise weisen lücken- oder gar fehlerhafte Daten auf, und in der klinischen Forschung wird oft mit kleineren Datensätzen gearbeitet. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung stark durch politische und wirtschaftliche Einflüsse sowie den medizinischen Praxisnormen geprägt wird. Es gilt also erst einen Rahmen zu schaffen, der den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Breite ermöglicht.
Trotz all der Skepsis sprichst du der KI ein hohes Potenzial zu. Wo verortest du dieses?
Während die Fähigkeit der Menschen, durch Erfahrungen neues zu lernen, begrenzt ist, lernen KI-Algorithmen durch neue Daten laufend dazu. Deshalb wurde in klinischen Bereichen wie der Pathologie oder der Radiologie, welche über grosse und gut strukturierte Daten verfügen, mittels KI erhebliche Fortschritte erzielt. Ich sehe den Nutzen von KI für das Gesundheitswesen deshalb unter anderem im Einsatz bei der Mustererkennung – beispielsweise in der Patienten-Triage mittels Bildanalysen. Eine effiziente, automatisierte Triage könnte das Gesundheitswesen bedeutend entlasten. Zudem können KI-Anwendungen in denjenigen Orten der Welt Sinn machen, wo ein grosser Mangel an medizinischen Experten herrscht.
Was muss unternommen werden, damit die KI ihr Potenzial in der Gesundheitsbranche entfalten kann?
Als erstes müssen sich die verschiedenen Interessensgruppen über die Definition und die Verwendung von KI-Begriffen einig werden. Sprechen die verschiedenen Bereiche dieselbe Sprache, können Erkenntnisse konsolidiert und die Anforderungen an die Forschung definiert werden. Letztere sollte wiederum so ausgelegt sein, dass die Ergebnisse direkt in die Praxis einfliessen. Und natürlich muss der rechtliche Rahmen geschaffen werden, um KI in der Breite zum Einsatz zu bringen. Der Sammlung und Pflege relevanter Daten sollte grosse Aufmerksamkeit zukommen. Die Hoffnung, dass gute Daten für die Entwicklung von KI-Anwendungen durch die klinische Routine automatisch anfallen, ist ein unrealistischer Traum.